Bodenseewasser zum Heizen und Kühlen
Der Bodensee enthält grosse Mengen erneuerbarer thermischer Energie. Einen Teil davon könnte auch der Werkplatz Altenrhein zum Heizen und Kühlen nutzen, sagt Prof. Dr. Alfred Wüest vom ETH-Wasserforschungsinstitut Eawag.
Herr Wüest, der Werkplatz Altenrhein liegt direkt am Bodensee. Könnte das Wasser zum Kühlen oder Heizen der Anlagen genutzt werden?
«Auf jeden Fall. Je kürzer die Leitungen und je grösser die Anlage, umso wirtschaftlicher gestaltet sich eine Nutzung.»
Wie sähe diese Nutzung in der Praxis aus?
«Im Primärkreislauf führt eine Leitung Seewasser zu einem Wärmetauscher in der Nähe des Ufers, von wo es zurück in den See gelangt. Im Sekundärkreislauf, ab dem Wärmetauscher, entziehen Wärmepumpen mit Hilfe von elektrischem Strom dem Wasser an mehreren Stellen Wärme. Schliesslich bringt der Tertiärkreislauf warmes Wasser zum Endverbraucher.»
Welche technische Infrastruktur ist dafür nötig?
«Es braucht eine Seewasser-Filteranlage, damit sich der Wärmetauscher nicht verstopft, drei Leitungssysteme, mehrere Wärmepumpen mit Strom und natürlich verschiedene Pumpen sowie Kontroll- und Regeleinrichtungen. Die meisten Anlagen haben eine klassische Zusatzheizung für die wenigen extrem kalten Wintertage und für den Fall einer technischen Störung.»
Von wie viel Leistung sprechen wir dabei?
«Bei einem Areal dieser Grösse geht es um einige Megawatt, je nachdem, wie gross die Gebäude sind und wie viel Warmwasser sie benötigen.»
Lohnt sich ein solches Projekt wirtschaftlich?
«Das hängt von der künftigen Entwicklung der Ölpreise ab. Die liegen heute immer noch tief, weshalb Seewasserwerke im Verhältnis etwas teurer sind als Ölheizsysteme. Doch viele Gemeinden und Wohnsiedlungen sind bereit, die höheren Kosten in Kauf zu nehmen, um zu einer CO2-Reduktion beizutragen.»
Für welche Anlagen eignet sich diese Art der Heizung/Kühlung am besten und warum?
«Für Fernwärmesysteme. Das sind die grössten Anlagen und sie werden umso wirtschaftlicher, je mehr Kunden auf engem Raum mitmachen. Wenn zudem während der heissen Sommertage das gleiche Leitungssystem auch zur Kühlung verwendet werden kann, erzielt man mit der Investition einen doppelten Nutzen.»
Der Wärme- und Kälteentzug greift ins Ökosystem des Sees ein. Hat dies Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen?
«Wir empfehlen, dem See nur so viel Wärme und Kälte zu entziehen, dass die Temperaturschwankungen bei maximal 0,5 Grad liegen. Beim Bodensee werden diese Änderungen deutlich kleiner sein. Eine solche Veränderung hat keine wesentlichen Effekte auf die Natur. Zudem wirkt die Abkühlung bei der Wärmenutzung der Klimaerwärmung entgegen – das ist durchaus erwünscht.»
Gibt es Orte in der Schweiz, wo bereits mit Seewasser geheizt und gekühlt wird?
«An den meisten grossen Seen gibt es mehrere kleine Anlagen – so auch am Bodensee, unweit vom Werkplatz, in Romanshorn und Rorschach. Gegenwärtig werden grosse Projekte am Zuger‑, am Vierwaldstätter- und am Genfersee realisiert.»
Welche Erfahrungen konnten andernorts gesammelt werden?
«Das hängt von der Art des Projekts ab. Wichtige Faktoren sind die Filteranlagen, der Regelbereich der Temperatur und die Effizienz (Stromverbrauch). Einzelne extrem kalte Wintertage stellen zudem eine Herausforderung dar.»
Prof. Dr. Alfred Wüest ist Professor für Gewässerphysik an der EPFL (ETH Lausanne), Mitglied der Direktion der Eawag und Experte für aquatische Ökologie, Wasserqualität und Stoffhaushalt in Seen.